Hermann Lueer: Zur aktuellen Bedeutung der Schriften der GIK (Holland)

Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung

English, Spanish

Zur aktuellen Bedeutung der Schriften der Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland)
Vortrag von Hermann Lueer beim jour fix der Initiative sozialistisches Forum (Freiburg) 7. Mai 2024

Mein Vortrag ist in drei Teile gegliedert:

Im ersten Teil werde ich etwas zur Geschichte der Gruppe Internationaler Kommunisten sagen.

Im zweiten Teil geht es um ihr Hauptwerk die Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung.

Im dritten Teil werde ich mich abschließend mit zwei verbreiteten Einwänden gegen die Arbeitszeitrechnung auseinandersetzen.

Beginnen wir mit der Geschichte der GIK bzw. dem politischen Hintergrund, vor dem sie ihre Schriften entwickelte.

Die GIK war keine traditionelle politische Partei, die für sich einen Führungsanspruch reklamierte, sondern eine internationale Gruppe von Kommunisten.

Ihr Ziel war es, mit ihrer Agitation die für eine erfolgreiche soziale Revolution notwendige Bewusstseinsentwicklung der Arbeiter zu unterstützen.

Da es dementsprechend bei der GIK weder Gründungsstatuten noch offizielle Parteimitgliedschaften gab, sind genaue Angaben über Gründung und Mitglieder nicht vorhanden.

Wahrscheinlich bildete sich die GIK um 1926 aus dem Umfeld der KAPN und der KAPD.

Die bekanntesten Mitglieder der Gruppe waren Jan Appel und Henk Canne Meijer.

Anton Pannekoek war sicherlich der bedeutendste Unterstützer und zugleich Vordenker der Gruppe, der viele Artikel zu ihren Veröffentlichungen beitrug.

Zu den Unterstützern gehörte auch Paul Mattick, der in den USA viele Artikel der GIK in der von ihm herausgegebenen International Council Correspondence veröffentlichte.

In ihren Publikationen befasste sich die GIK vor allem mit der Selbstorganisation des Proletariats, den Grundlagen der Organisation der kommunistischen Gesellschaft und der entsprechenden Kritik am Bolschewismus und Anarchismus.

Von 1928 bis 1933 gaben sie den Pressedienst der Internationalen Kommunisten-Holland heraus. Dieser erschien in deutscher und niederländischer Sprache.

Von 1934 bis 1937 folgte mit 22 Nummern die Internationale Rätekorrespondenz, die in deutscher Sprache erschien und in den USA auszugsweise in der von Paul Mattick herausgegebenen International Council Correspondence veröffentlicht wurde.

Nachdem die Nationalsozialisten in Deutschland jegliche kommunistische Propaganda verboten hatten, erschien von 1938 bis 1940 die nur in niederländischer Sprache herausgegebene Zeitschrift Rätekommunismus. Mit dem Untertitel: Marxistische Zeitschrift für den selbstständigen Klassenkampf.

Ihr Hauptwerk – die Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung – erschien 1930.

Die deutschsprachige Erstauflage wurde kurz nach Erscheinen beschlagnahmt und weitgehend vernichtet.

Eine vollständig überarbeitete und verbesserte Ausgabe in niederländischer Sprache erschien 1931 zunächst auszugsweise in ihrem Pressedienst der Internationalen Kommunisten-Holland und 1935 in zweiter Auflage in Buchform.

Der Text der deutschen Erstausgabe wurde 1970 in Deutschland nachgedruckt und auch ins Englische übersetzt. Die vollständig überarbeitete und verbesserte zweite Auflage blieb dagegen in den folgenden 85 Jahren in niederländischer Sprache weitgehend unbeachtet. Sie wurde erstmalig 2020 in deutscher und englischer Übersetzung zugänglich gemacht.

In ihren theoretischen Überlegungen wurde die GIK stark von den negativen Entwicklungen der Revolutionen in Deutschland und Russland beeinflusst.

Einerseits vom Scheitern der Räterevolution in Deutschland. Zum anderen von der zunehmenden Entwicklung zum Staatskapitalismus in Russland und der damit verbundenen Zerschlagung der dortigen Räteorganisationen.

In diesem doppelten Scheitern erkannte die GIK einen Mangel in der vorherrschenden Kapitalismuskritik oder andersherum ausgedrückt: einen Mangel in dem Verständnis der aus der Kapitalismuskritik ableitbaren Grundprinzipien eines kommunistischen Produktionsverhältnisses.

Sie erlebten, wie über die Selbstorganisation in den revolutionären Betriebsorganisationen die Arbeiterklasse durchaus in der Lage war, die Macht zu erobern. Dass sie aber in dieser Situation nicht wusste, was sie mit der errungenen Rätemacht anfangen sollte.

Sie erlebten, wie in Russland die Produktionsmittel vergesellschaftet wurden, ohne dass damit die Ausbeutung und Beherrschung der Arbeiterklasse aufgehoben wurde.

Sie sahen, wie die konterevolutionären Bestrebungen der Sozialdemokratie und der bolschewistischen Partei – die revolutionären Betriebsorganisationen im Sinne einer staatlichen Ordnung zu domestizieren – auf keine nennenswerte Gegenwehr seitens der Arbeiterklasse stießen.  

Es fehlte das Bewusstsein, wie die Menschen ihre Betriebe in ökonomischer Selbstverwaltung im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Produktion hätten verbinden können. Auf welcher ökonomischen Grundlage sie also die durch die Räterevolution errungene Macht im Sinne einer Vereinigung freier und gleicher Menschen hätten gestalten und damit sichern können.

Oder anders ausgedrückt: Die Kritik war nicht so weit fortgeschritten, zu erkennen, dass die Fragen der politischen und der ökonomischen Organisation der Revolution nicht voneinander zu trennen sind.

Der Schwachpunkt der damals durchaus bei Anarchisten wie auch im linksradikalen Flügel der Marxisten vorhandenen Kritik am Bolschewismus bestand darin, dass deren Kritik im Wesentlichen auf die politische Organisationsform der Beherrschung der Arbeiterklasse zielte.  

Dass begann schon bei Rosa Luxemburg, die bereits ein Jahr nach der Oktoberrevolution die später immer lauter werdende Kritik an der Parteidiktatur vorwegnahm.

Der Grundfehler der Lenin-Trotzkischen Theorie ist, laut Luxemburg, dass sie die Diktatur der Demokratie entgegenstellen. Die Diktatur des Proletariats müsse »das Werk der Klasse, und nicht einer kleinen, führenden Minderheit im Namen der Klasse sein, d. h. sie müsse auf Schritt und Tritt aus der aktiven Teilnahme der Massen hervorgehen, unter ihrer unmittelbaren Beeinflussung stehen, der Kontrolle der gesamten Öffentlichkeit unterstehen, aus der wachsenden politischen Schulung der Volksmassen hervorgehen.«[1]

Ähnlich war auch zwei Jahre später die Stoßrichtung der sogenannten Arbeiteropposition, die sich als Fraktion innerhalb der bolschewistischen Partei gebildet hatte.

Der Ausgangspunkt war der wachsende Unmut der Arbeiter über die elenden Arbeitsbedingungen und die Beherrschung der Arbeiterklasse durch die von der Partei ernannten Direktoren bzw. die ebenfalls von der Partei kontrollierten Gewerkschaften. Diesen Unmut brachte die Gruppe Arbeiteropposition auf dem X. Parteitag 1921 folgendermaßen zum Ausdruck:

»Das Wesen des Streits dreht sich darum, ob wir den Kommunismus mit Hilfe der Arbeiter verwirklichen werden, oder über ihre Köpfe hinweg vermittels der Sowjetbeamten. … Die Arbeiterverbände müssen von der gegenwärtigen passiven Mitwirkung zur aktiven und individuellen Teilnahme in der Verwaltung der ganzen Volkswirtschaft übergehen.«[2]

Wie die geforderte aktive und individuelle Teilnahme an der Verwaltung der gesamten Volkswirtschaft ökonomisch realisiert werden sollte, blieb in ihrer Kritik allerdings völlig unklar.

Genauso unklar wie beim Kronstädter Aufstand, der parallel zum 10. Parteitag im März 1921 als außerparteiliche Opposition unter der Losung »Alle Macht den Sowjets – Keine Macht der Partei« organisiert worden war.

Die Kritik der Kronstädter bezog sich ausschließlich auf die politische Organisationsform. Das ökonomische Programm der Bolschewiki, das die gesellschaftlichen Gegensätze begründete, die dann der Regelung durch die Staatsgewalt bedurften, blieb unkritisiert.  

Ebenso bei Rudolf Rocker, der im selben Jahr die anarchistische Kritik am Bolschewismus in seiner Schrift »Der Bankrott des russischen Staatskommunismus« folgendermaßen formulierte:

»Der Rätegedanke ist der bestimmteste Ausdruck dessen, was wir unter einer sozialen Revolution verstehen und umfasst die ganze konstruktive Seite des Sozialismus. In Russland siegte die Diktatur, darum gibt es dort keine Sowjets mehr.«[3]

Selbst Trotsky schloss sich später zögerlich dieser auf die politische Form der Herrschaft bezogenen Argumentation an. 1935 schrieb er in seinem Buch »Verratene Revolution«:

»Die Degeneration der Partei war Ursache und Wirkung der Bürokratisierung des Staates.«[4]

Im Gegensatz zu dieser oberflächlichen Kritik, die nur auf die politische Form der Herrschaft abzielte, entwickelte die GIK ihre marxistische polit-ökonomische Kritik sowohl am Programm der Bolschewiki als auch am Programm der anarchistischen Gruppen, indem sie der politischen linkskommunistischen Forderung – Alle Macht den Räten! – den entscheidenden ökonomischen Inhalt hinzufügte.

Für die GIK waren die Schlüsselfragen der kommunistischen Transformation:

Welche ökonomischen Veränderungen, welche Veränderungen in den Rechtsverhältnissen muss die Arbeiterklasse in der Revolution durchsetzen, um die Macht behalten zu können?

Wie muss der politische Sieg der Arbeiter wirtschaftlich verankert werden?

Was sind die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Aufhebung der Lohnarbeit?

Als Antwort auf diese Fragen veröffentlichte die GIK 1930 ihre Schrift »Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung«, deren Anliegen Henk Canne Meijer folgendermaßen beschrieb:

» … solange die Diskussionen auf der unfruchtbaren Grundlage geführt werden, ob es mehr oder weniger „Zentralismus“ oder „Föderalismus“ geben sollte, konnten keine Fortschritte in dieser Frage erzielt werden. Das kommunistische Betriebsleben ist keine organisatorische Frage des Zentralismus oder Föderalismus, sondern die Umsetzung anderer Prinzipien für den Güterverkehr in der Gesellschaft und für die Verteilung des gesellschaftlichen Produkts.«[5] »Die Diskussion über „Föderalismus oder Zentralismus“ hat keinen Sinn, wenn man vorher nicht aufzeigt, was die ökonomische Basis dieses „Föderalismus“ oder dieses „Zentralismus“ sein wird. In Wirklichkeit sind die Organisationsformen einer gegebenen Ökonomie im großen gesehen keine willkürlichen Formen, sie leiten sich eben aus den Prinzipien dieser Ökonomie selbst her.«[6]

Mit anderen Worten ausgedrückt:

Ohne eine Kritik der ökonomischen Prinzipien, die den politischen Organisationsformen zugrunde liegen, lediglich bessere Organisationsformen zu fordern, ist idealistisches Wunschdenken, dem die Grundlage für eine erfolgreiche Umsetzung fehlt.

Im Gegensatz zur vorherrschenden Kritik am Bolschewismus wies die GIK daher darauf hin, dass die Entwicklung der Russischen Revolution gezeigt habe, dass es nicht ausreiche, nur die Abschaffung des kapitalistischen Privateigentums an den Produktionsmitteln zu fordern und dass es ebenso unzureichend sei, nur alle Macht den Räten und die Abschaffung der Lohnarbeit zu fordern.

Diese Forderungen, schreibt die GIK, haben für sich allein nicht mehr Konsistenz als eine Seifenblase, wenn man nicht weiß, wie man die ökonomische Grundlage schaffen muss, auf der es keine Lohnarbeit mehr geben kann und auf der es den Menschen erst möglich wird, ihre ökonomischen Verhältnisse selbständig zu organisieren und zu verwalten.

Die Aufklärung über die Prinzipien des kapitalistischen Produktionsverhältnisses und die Schäden, die es notwendigerweise für die Mehrheit der Bevölkerung mit sich bringt, muss zusammengehen mit den aus dieser Kapitalismuskritik ableitbaren Grundprinzipien eines das Lohnarbeitsverhältnis aufhebenden Produktionsverhältnisses.

Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Die Kritik muss sich an der Alternative bewähren.

In ihrer kritischen Auseinandersetzung mit den verschiedenen anarchistischen und marxistischen Strömungen stellt die GIK in ihren »Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung« fest, dass, soweit sich bisher überhaupt mit den ökonomischen Grundlagen, auf denen es keine Lohnarbeit mehr gibt, beschäftigt wurde, die Vorstellungen entweder negativer Natur sind: kein Geld, kein Wert, kein Markt, keine Lohnarbeit.Oder es handelt sich um oberflächliche, d.h. inhaltlich nicht weiter ausgeführte Phrasen wie: Vergesellschaftung der Produktionsmittel oder das bei den Anarchisten ebenso wie bei Lenin und sogar bei Stalin beliebte Motto: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.

Da aber auch im Verbund selbstbestimmter, von Lohnarbeit befreiter Menschen nur das konsumiert werden kann, was durch die von den Gesellschaftsmitgliedern verausgabte Arbeitszeit und durch die in ihrer gesellschaftlichen Arbeitsteilung erzielte Produktivität produziert wird, steht die Gesellschaft mit der Übernahme der Produktionsmit­tel vor der Herausforderung, die Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen (d.h. die Ausstattung der Arbeitsplätze wie auch den Umfang der Ar­beitszeiten und -intensität) mit ihren Konsumbedürfnissen arbeitsteilig in Einklang zu bringen.

Die hohle Phrase, nach der Vergesellschaftung der Produktionsmittel würden die Gesellschaftsmitglieder ihre Produktion und Konsumtion zum Zwecke ihrer Bedürfnisbefriedigung rationell regeln, bedarf also der ökonomischen Konkretisierung.

Soweit zur historischen und politischen Einordnung der Grundprinzipien.

Damit komme ich zum Inhalt der Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung.

Vorweg aber noch ein paar methodische Hinweise:

Zunächst ist festzuhalten, dass es sich um Grundprinzipien handelt. D.h. es geht nicht um die Ausgestaltung aller möglichen Detailfragen im Hinblick auf die kommunistische Planung und Verwaltung. Es geht allein um die, wie Marx es ausdrückte, unvermeidbare Grundlage des Produktionsverhältnisses, auf der sich die kommunistische Gesellschaft entwickeln kann.

2. Die Räteorganisation wird im Buch zwar als Ausgangspunkt der Revolution vorausgesetzt. Sie ist aber in ihrer weiteren Ausgestaltung ebenso wie die Detailfragen nicht das Thema der Grundprinzipien. Es geht um die Ökonomie, das Produktionsverhältnis der kommunistischen Gesellschaft, auf dessen Grundlage sich die Räteorganisation erst entfalten kann.

3. Die technischen Aspekte, wie sich die Arbeitszeitrechnung praktisch umsetzen lässt, sind im Folgenden nicht das Thema. Also z.B.

  • die Produktionsformel über die sich angefangen bei den Rohstoffen über die Produktionsmittel bis zum Endprodukt die Gesamtarbeitszeit eines Produktes ermitteln lässt,
  • die Ermittlung der gesellschaftlich durchschnittlichen Arbeitszeit je Branche durch die öffentliche Buchhaltung,
  • die Abzüge für diverse gesellschaftliche Fonds und darüber die Ermittlung des verbleibenden Faktors für den individuellen Konsum,

all diese technischen Aspekte der Umsetzung der Arbeitszeitrechnung, die im Buch der GIK ausführlich beschrieben sind, sind im Folgenden nicht das Thema.

In Folgenden geht es allein um die polit-ökonomische Aussage der Grundprinzipien, d.h. um die Kehrseite der marxschen Kapitalismuskritik. Oder wie die GIK es ausdrückt: Die Aufhebung der Lohnarbeit und »die Neuordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist eine Tat, es sind nur zwei Seiten einer und derselben Handlung.«[7]

Wer die polit-ökonomische Kernaussage der Grundprinzipien nicht teilt, den interessieren Fragen der technischen Umsetzung sowieso nicht bzw. er sucht parteilich nach Haaren in der Suppe.

Wer die polit-ökonomische Kernaussage der Grundprinzipien richtig findet, der kann die technische Umsetzung leicht nachlesen bzw. konstruktiv über das, was die GIK ausgeführt hat, erweitern.

Ich wiederhole diesen Gedanken noch einmal, weil ich ihn für die Diskussion der Grundprinzipien für sehr wichtig halte:

Wer die zentrale polit-ökonomische Aussage der Grundprinzipien nicht teilt, interessiert sich nicht für Fragen der technischen Umsetzung oder sucht parteiisch nach Beweisen für die Unmöglichkeit der Umsetzung.

Wer die zentrale polit-ökonomische Aussage der Grundprinzipien richtig findet, der kann die technische Umsetzung und alle damit zusammenhängenden Fragen leicht nachlesen bzw. selbst konstruktiv über das hinaus erweitern, was die GIK ausgeführt hat.

Es hat also keinen Sinn über diverse Aspekte der technischen Umsetzung der Grundprinzipien zu diskutieren, bevor Einigkeit über ihre zentrale polit-ökonomische Aussage erzielt worden ist.

Mit diesen methodischen Vorbemerkungen steige ich nun in die Darstellung der zentralen polit-ökonomischen Aussage der Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung ein.

Inhaltlich sind die Grundprinzipien der Ökonomie der kommunistischen Gesellschaft identisch mit dem, was Marx und Engels an verschiedenen Stellen ihrer Kapitalismuskritik kurz skizziert haben.

In der kommunistischen Gesellschaft, so Marx in seiner Kritik des Gothaer Programms, erhält der individuelle Produzent »von der Gesellschaft einen Schein, dass er soundso viel Arbeit geliefert hat (nach Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds), und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat von Konsumtionsmitteln soviel heraus, als gleich viel Arbeit kostet.«[8]

Die Grundprinzipien sind nichts anderes als eine Ausarbeitung dieses aus der Marxschen Kapitalismuskritik abgeleiteten Gedankens zum kommunistischen Produktionsverhältnis.

Der Ausgangspunkt der Überlegungen der GIK ist die Frage: Was sind die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Aufhebung der Lohnarbeit?

Die GIK schreibt dazu:

»Die Beherrschung und Ausbeutung sind in ihren Ursachen außergewöhnlich einfach und für jedermann sofort zu begreifen: Sie sind eingeschlossen in der Tatsache, dass der Arbeiter von den Produktionsmitteln getrennt ist. Der Kapitalist ist Besitzer der Produktionsmittel – der Arbeiter besitzt nur seine Arbeitskraft; der Kapitalist besitzt die Bedingungen, unter denen der Arbeiter arbeiten muss. … Mit dem Verfügungsrecht über die Produktionsmittel hat die besitzende Klasse zugleich die Verfügung über die Arbeitskraft; das heißt, sie herrscht über die Arbeiterklasse. …

So einfach die Grundlage für die Beherrschung der Arbeiterklasse ist, so einfach ist auch die Formulierung für die Aufhebung der Lohnarbeit … Diese Aufhebung kann nur darin bestehen, dass die Trennung von Arbeit und Arbeitsprodukt aufgehoben wird, dass das Verfügungsrecht über das Arbeitsprodukt und daher auch über die Produktionsmittel wieder den Arbeitern zukommt.

Das ist das Wesentliche der kommunistischen Produktion.«[9]

Mit der Vergesellschaftung der Produktionsmittel, d.h. mit dem Übergang zum »Gemeinschaftsbesitz« ist das Problem einer neuen Produktionsweise daher erst gestellt.

Die damalige Arbeiterbewegung lebte in dem Vertrauen, »dass der Kommunismus “von selbst” kommen muss, wenn der Privatbesitz an Produktionsmitteln aufgehoben ist. Aber die Voraussetzung, dass damit die Lohnarbeit notwendig verschwinden muss, ist falsch.«[10]

Die GIK betonte demgegenüber, dass der Gemeinschaftsbesitz kein Zweck an sich ist, sondern nur das Mittel, um das Verfügungsrecht über die Produktionsmittel für die Arbeiter zu ermöglichen, um die Trennung von Arbeit und Arbeitsprodukt aufzuheben, um die Lohnarbeit abschaffen zu können.

»Für die Lohnarbeiter kann das Ziel der proletarischen Revolution daher nur darin bestehen, eine neue Beziehung zwischen dem Produzenten und dem gesellschaftlichen Produkt herzustellen. Für den Proletarier kann das Ziel der sozialen Revolution kein anderes sein, als durch seine Arbeit zugleich sein Verhältnis zum gesellschaftlichen Produkt zu bestimmen. Das bedeutet:

Abschaffung der Lohnarbeit!

Die Arbeit ist das Maß des Konsums!

Es ist die einzige Voraussetzung dafür, dass Leitung und Verwaltung der gesellschaftlichen Produktion in die Hände der Arbeiter selbst gelegt werden.«[11]

Man kann diesen zentralen Ausgangspunkt, von dem aus die GIK ihre Grundprinzipien formuliert hat, auch so ausdrücken:

Wenn auch Ausbeutung in der Geschichte der Menschheit in unterschiedlichen Formen auftrat, so bestand sie in ihrem Kern immer in der Aneignung fremder Arbeit. »Nur die Form, worin diese Mehrarbeit dem unmittelbaren Produzenten, dem Arbeiter, abgepresst wird, unterscheidet die ökonomischen Gesellschaftsformationen, z. B. die Gesellschaft der Sklaverei von der der Lohnarbeit.«[12]

Im kapitalistischen Produktionsverhältnis gestaltet sich das dann so:

Auf der Grundlage der bürgerlichen Rechtsordnung, d.h. der Freiheit und Gleichheit der Person und des Rechts auf Eigentum an den Produktionsmitteln, werden nicht nur die Produkte zur Ware, sondern auch die Arbeitskraft derjenigen, die außer ihrer Arbeitskraft über keine Produktionsmittel verfügen.

In diesem Lohnverhältnis verfügt der Käufer der Arbeitskraft über die Arbeitskraft und das Produkt ihrer Arbeit und nutzt die Differenz zwischen dem, was er an Lohn zahlt, und dem, was die Arbeit an Wert geschaffen hat, für seinen persönlichen Gewinn.

Auf diese Weise reproduziert die kapitalistische Gesellschaft das Verhältnis von Arm und Reich, von Herrschenden und Beherrschten, von Lohnarbeit und Kapital.

Aber es ist weit mehr als das Verhältnis von Arm und Reich, was das kapitalistische Produktionsverhältnis ausmacht.

Der Zweck der Kapitalvermehrung durchzieht wie ein roter Faden jeden Winkel der kapitalistischen Gesellschaft. Von der Forschung und Entwicklung über die Produktion bis hin zu Werbung und Verkauf bestimmt der Zweck der Kapitalvermehrung nicht nur, ob überhaupt und für wen produziert wird, sondern auch, was, wo und wie produziert wird.

Im Unterschied hierzu wird mit der Durchsetzung der individuellen Arbeitszeit als Maßstab für den Anteil am gesellschaftlichen Arbeitsprodukt die Aneignung des Mehrwerts in der Lohnarbeit aufgehoben.

Damit wird zugleich die Herrschaft derjenigen beendet, die über den gesellschaftlichen Produktionsapparat und damit auch über seine Produkte verfügen. Mit dem Eigentum an den Produktionsmitteln verschwindet der auf Eigentum beruhende Warentausch und damit der Wert mit seiner allgemeinen stofflichen Form, dem Geld. Das Geld als allgemeine Zugriffsmacht und Zweck des Wirtschaftens (Stichwort: Kapitalakkumulation) ist aufgehoben.

Das bedeutet:

Alles, was von der übernommenen kapitalistischen Arbeitsorganisation den Produzenten, die zugleich die Konsumenten sind, nicht nützt, wird eingestellt und aufgelöst.

Wer will jetzt noch Arbeitskraft und Mühe in die Gestaltung von Joghurtbechern investieren wollen, die den Konsumenten einen größeren Inhalt vorgaukeln, oder in die Entwicklung von ernährungsphysiologisch minderwertigen Lebensmitteln, die mit diversen chemischen Geschmacks- und Farbstoffen oberflächlich aufgepeppt werden, oder in gentechnisch verändertes Saatgut, das sich von den landwirtschaftlichen Betrieben nicht selbst vermehren lässt, oder in die Gestaltung und Verbreitung von Werbung, die niemand in seinem Briefkasten oder als lästige Unter­brechung im Kino oder Fernsehen haben will?

Sobald der Tauschwert, das Geld und seine Vermehrung, nicht mehr der alles bestimmende Zweck jeder Betriebsorganisation ist, werden die sachlichen Kriterien der Gebrauchsgüter­produktion im gesamten Produktionsprozess automatisch in den Fokus rücken und den Umgestal­tungsprozess der gesamten Wirtschaft bestimmen.

Wenn nach der Vergesellschaftung der Produktionsmittel nicht mehr Konkurrenz um den privaten Vorteil, sondern Zusammenarbeit die Maxime ist, dann werden sich die Betriebsräte der im Kapitalismus gegeneinander konkurrierenden Unternehmen unmittelbar darüber ins Benehmen setzen, wie sich aus dem vorhandenen Wissen und den gegeneinander aufgebauten Produktionskapazitäten Synergien zum gemeinsamen Nutzen ziehen lassen, statt sich gegenseitig durch Patente und Betriebsgeheimnisse von diesem Wissen auszuschließen.

Wenn die Produzenten ihre Arbeitskraft nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt verkaufen müssen, wird die Frage, wo produziert wird, nicht über den unterschiedlichen Wert lokaler Arbeitskräfte in sogenannten Niedriglohnländern entschieden, sondern an den sachlichen Kriterien der jeweiligen Gebrauchsgüterproduktion. In dem Moment, in dem die Ar­beitsplatzgestaltung nicht mehr Kosten­fak­tor in der Ge­winnkalkulation der Produktions­mittel­besit­zer ist, werden die Pro­duzenten über Ausstat­tung und Orga­nisation ihrer Arbeit selbst bestimmen.

Mit der Durchsetzung der Arbeitszeitrechnung – die die Trennung von individueller Arbeit und gesellschaftlichem Arbeitsprodukt aufhebt – wird aber nicht nur das kapitalistische Produktionsverhältnis aufgehoben.

Mit der Durchsetzung der Arbeitszeitrechnung, die das Verhältnis von Arbeitsaufwand und Ertrag für alle Gesellschaftsmitglieder transparent macht, ist zugleich die materielle Grundlage geschaffen, auf der eine gemeinschaftliche Produktionsplanung möglich wird.

Eine Produktionsplanung, in der die Menschen nach individueller Abwägung von Aufwand (individuelle Arbeitszeit) und Ertrag (gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit) selbst entscheiden können, was sie haben wollen.

Auf dieser Grundlage, und nur auf dieser Grundlage, wird der emanzipatorische Gedanke, dass an die Stelle der Herrschaft über Personen die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen durch die freie Assoziation der Individuen tritt, von der Phrase zur materiellen Wirklichkeit.

Jedes Gesellschaftsmitglied kann so über seine individuelle Arbeitszeit und seinen individuellen Konsum selbst bestimmen.

Die individuellen Bedürfnisse werden gegen den gesellschaftlichen Arbeitsaufwand abgewogen und über die Konsumwünsche und die ihnen entsprechende individuelle Arbeitsbereitschaft in den gesellschaftlichen Planungsprozess eingebracht.

Über die Arbeitszeitrechnung löst sich somit die Frage von Produktion und Verteilung in der gemeinschaftlichen Produktionsplanung auf.

Anton Pannekoek hat diesen Gedanken in seinem Hauptwerk Die Arbeiterräte folgendermaßen ausgedrückt:

»Arbeit ist ein gesellschaftlicher Prozess. Jeder Betrieb ist Teil des gesellschaftlichen Produktionskörpers. Die gesamte gesellschaftliche Produktion wird durch ihre Verbindung und Zusammenarbeit gebildet. Wie die Zellen, die den lebenden Organismus bilden, können sie nicht isoliert und abgesondert vom Körper existieren. Die Organisation der Arbeit im Betrieb ist daher nur die eine Hälfte der Aufgabe der Arbeiter. Über ihr, die noch wichtigere Aufgabe, steht die Vereinigung der einzelnen Betriebe, ihre Zusammenfassung zu einer gesellschaftlichen Organisation. … Wie aber sollen die Menge der verausgabten Arbeit und die Menge des Produkts, auf das [der Arbeiter] Anspruch hat, gemessen werden?

In einer Gesellschaft, in der die Güter unmittelbar für den Verbrauch produziert werden, gibt es keinen Markt, auf dem sie getauscht werden; und ergibt sich kein Wert als Ausdruck der in ihnen enthaltenen Arbeit automatisch aus dem Prozess des Kaufens und Verkaufens. In diesem Fall muss die aufgewendete Arbeit direkt in Arbeitsstunden ausgedrückt werden. Die Verwaltung führt Buch über die Arbeitsstunden, die in jedem Stück oder jeder Mengeneinheit des Produkts enthalten sind, sowie über die von jedem Arbeiter geleisteten Arbeitsstunden. In den Durchschnittswerten für alle Arbeiter einer Fabrik und schließlich für alle Fabriken derselben Kategorie werden die individuellen Unterschiede geglättet und die individuellen Ergebnisse miteinander verrechnet. ….

Als klares und verständliches Zahlenbild wird der Produktionsprozess für alle sichtbar gemacht. Hier sieht und kontrolliert der Mensch sein eigenes Leben. Was die Arbeiter und ihre Räte in organisierter Zusammenarbeit ersinnen und planen, zeigt sich in Charakter und Ergebnis in den Zahlen der Buchhaltung. Nur weil sie jedem Arbeiter ständig vor Augen stehen, ist die Leitung der gesellschaftlichen Produktion durch die Produzenten selbst möglich.«[13]

Mit anderen Worten:

Die »neue Beziehung zwischen dem Produzenten und dem gesellschaftlichen Produkt«, die die Aufhebung der Lohnarbeit erzwingt, ist zugleich die Grundlage für den planmäßigen Zusammenhang im kommunistischen Produktionsverhältnis.

Auf der Grundlage der über die Arbeitszeitrechnung vergesellschafteten Produktionsmittel findet eine dezentrale Planung von Produktion und Verteilung statt, ähnlich wie in der Marktwirtschaft.

Es gibt keine zentrale Planungsinstanz, die den einzelnen Betrieben vorschreibt wie und was sie zu produzieren haben.

Der Ausgangspunkt für die Produktionsentscheidung sind die Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder. Sei es als Erfahrungswert der bisherigen Nachfrage – der Bäckereibetrieb weiß, wie viele Brötchen er in der Regel pro Tag absetzt – oder in Form von direkten Bestellungen – Produktion on demand. Die Betriebe ordern so zum Zweck der Bedürfnisbefriedigung entsprechend der Nachfrage bei ihren Vorlieferanten bis hin zum Rohstofflieferant.

In der kommunistischen »Vereinigung freier und gleicher Menschen« ist die Grundlage für die planmäßige Organisation der Produktion, ebenso wie in der Marktwirtschaft, eine Abwägung zwischen Aufwand und Ertrag.

Zur Sicherung des gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhangs – die Gesellschaftsmitglieder können nicht mehr konsumieren, als sie bereit sind zu produzieren – wird der anhand der tatsächlich angefallenen Arbeitszeit errechnete gesellschaftlich durchschnittliche Aufwand an Arbeitszeit pro Stück den individuellen Arbeitszeitkonten gegenübergestellt.

Die unterschiedliche Produktivität der einzelnen Betriebe spielt bei dieser Kopplung von Geben (individuelle Arbeitszeit) und Nehmen (gesellschaftlicher Aufwand pro Stück) keine Rolle.

Die Konsumenten beziehen im Verhältnis zu ihren individuellen Arbeitszeitkonten bei allen Betrieben zur gesellschaftlichen durchschnittlichen Produktionszeit des jeweiligen Produkts, womit das Resultat jeder Veränderung der Produktivität allen Gesellschaftsmitgliedern gleicher­maßen zufällt.

Im Unterschied zum Kapitalismus steht und fällt im kooperativen Produktionszusammenhang die ökonomische Existenz einzelner Betriebe nicht damit, ob ihr eigener betrieblicher Aufwand im Vergleich zum gesellschaftlichen Durchschnitt auf dem Markt zu Gewinn oder Verlust führt.

Zwar gibt es auch im kooperativen Produktionszusammenhang den Unterschied zwischen gesellschaftlicher Durchschnittsarbeitszeit und betrieblicher Arbeitszeit. Je nach besserer oder schlechterer Qualität der materiellen Produktionsmittel bzw. der Qualität der Arbeit produzieren auch hier die einzelnen Betriebe mit unterschiedlichem Aufwand in der Kette der Arbeitszeiten.

Die Differenz zwischen betrieblicher und gesellschaftlich durchschnittlicher Arbeitszeit – die im Kapitalismus hinter dem Rücken der Gesellschaftsmitglieder darüber entscheidet, in welchem Umfang bzw. ob überhaupt die im Produkt enthaltene individuelle Arbeit gesellschaftlich als Tauschwert anerkannt wird – findet jedoch jenseits von Markt und Geld ihre Aufhebung im kooperativen Produktionszusammenhang, indem sich die Unterdeckungen und Überschüsse innerhalb der Branche einander ausgleichen.

Die Konkurrenz zwischen den Betrieben ist aufgehoben. Ihre Reproduktion wird durch den geplanten kooperativen Zusammenhang und nicht durch die Verfügung über Geld geregelt.

Die Verrechnung der gegenseitigen Lieferungen und Leistungen in Höhe des durchschnittlichen gesellschaftlichen Aufwands pro Einheit ist hier kein Transfer von Geld, das als Vermögenswert die Voraussetzung für den Bezug der notwendigen Produktionsmittel ist.

In der Kooperation ist die gegenseitige Verrechnung von Leistungen in Form von Fehlbeträgen oder Überschüssen lediglich eine Information im Rahmen der offenen gesellschaftlichen Buchführung.

Die unterschiedliche Produktivität der einzelnen Betriebe – die im Rahmen der offenen Buchführung aller Betriebe zeigt, inwieweit der einzelne Betrieb von der gesellschaftlichen Durchschnittszeit abweicht – dient im kooperativen Produktionszusammenhang lediglich als Hin­weis auf mögliche Effizienzsteigerungen im Rahmen der gemeinsamen Produktion.

Im Hinblick auf die planmäßige Nutzung der gesellschaftlichen Ressourcen werden die Produzenten sich daher aus eigenem Interesse an einer für ihre Versorgung zweckmäßigen Organisation der Arbeit nicht nur auf die Effizienz ihrer eigenen innerbetrieblichen Arbeitsprozesse achten, sondern auch einen Blick darauf werfen, wie mit den Ergebnissen ihrer Arbeit im weiteren Verlauf der Produktion umgegangen wird.

Eine Betriebsorganisation, die z.B. in der Arbeitszeitrechnung der nachfolgenden Produktionsstufe einen verschwenderischen Umgang mit ihren Arbeitsergebnissen erkennt, wird sich im eigenen Interesse mit Unterstützung der überbetrieblichen Buchhaltungsorganisation kritisch zu Wort melden.  

Auch wenn es oberflächlich sehr ähnlich aussieht, besteht der entscheidende Unterschied darin, dass hier nicht hinter dem Rücken der Produzenten über die Konkurrenz entschieden wird, ob bzw. wie die individuelle Arbeit bewertet und damit gesellschaftlich anerkannt wird.  

Ihre gemeinsame gesellschaftliche Tätigkeit wird nicht zu einer Bewegung von Sachzwängen (Stichwort: Ware und Geld), unter deren Kontrolle sie stehen.

Die Assoziation der Produzenten entscheidet vielmehr bewusst miteinander, was, wie und wo sie gemeinsam produzieren wollen und damit auch welche Schlüsse sie aus den Produktivitätsunterschieden ziehen wollen.

Die Optimierung der Produktion unter Berücksichtigung der Produktivitätsunterschiede ist eine bewusste Angelegenheit zwischen den betriebsübergreifenden Organisationen der öffentlichen Buchhaltung und den einzelnen Betrieben.

Der Betrieb tritt als selbstständige Einheit auf, die ihre Beziehungen zu anderen Betrieben im Hinblick auf die Verbrauchernachfrage selbst herstellt.

Im Gegensatz zum kapitalistischen Produktionsverhältnis agieren die Betriebe nicht auf eigene Rechnung in Konkurrenz zueinander, sondern in Kooperation auf Rechnung der Gesellschaft.

Dass die Produktivität unter diesen kooperativen Produktionsverhältnissen im Vergleich zur kapitalistischen Konkurrenz sinkt, wird dabei bewusst in Kauf genommen.

Durch die Durchsetzung der individuellen Arbeitszeit als Maß für den Anteil am Produkt der gesellschaftlichen Arbeit gehen die Menschen schließlich nicht mehr als Variable in eine fremde Kosten-Nutzen-Kalkulation ein.

Die Reduzierung ihres Anteils am gesellschaftlichen Produkt und die Verlängerung ihrer Arbeitszeit bzw. die Intensivierung ihrer Arbeitsmühen verbessern hier nicht mehr das Kosten-Nutzen-Verhältnis für den Käufer der Arbeitskraft.

Die Armut und Erpressbarkeit der von den Produktionsmitteln getrennten Gesellschaftsmitglieder ist hier kein Mittel mehr, um die Produktivität der Arbeit gegen die Interessen und die Gesundheit der Produzenten zum Zwecke der privaten Bereicherung der Produktionsmittelbesitzer voranzutreiben.

Die Produzenten entscheiden selbst über ihre Arbeitsverhältnisse und damit über den Ertrag ihrer Arbeit.

Was durch den fehlenden Stachel der Konkurrenz an Produktivität verloren geht, gewinnt die planmäßige Kooperation auf der anderen Seite durch den Wegfall verschiedener Funktionen und Tätigkeiten, die im Kapitalismus notwendig, im Kommunismus aber überflüssig sind:

Exemplarisch können hier folgende Bereiche genannt werden:

Die im Kapitalismus selbstverständliche, in einem kooperativen Produktionsverhältnis dagegen absurde Kategorie des geistigen Eigentums, die statt des Austauschs von Wissen den Ausschluss von vorhandenem Wissen fördert.  

Die in der Konkurrenz um Marktanteile gegeneinander aufgebauten »Doppelfunktionen« und Überkapazitäten, die im Zuge der zyklischen kapitalistischen Krisen immer wieder vernichtet werden.

Der enorme Werbeaufwand und die riesigen Verkaufsorganisationen, deren Leistung niemand mit nützlicher Information verwechselt.

Die »Dienstleistungen« von Banken, Börsen, Versicherungen, Anwaltskanzleien, Finanz-, Justiz- und Sozialbehörden, die nur im Rahmen der marktwirtschaftlichen Konkurrenz um das Geld nützlich sind.

Damit komme ich zur Zusammenfassung des polit-ökonomischen Inhalts der »Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung«.

Die Durchsetzung der individuellen Arbeitszeit als Maß für den Anteil am Produkt der gesellschaftlich durchschnittlichen Arbeit ist einerseits – auf der Seite der Kapitalismuskritik – die Aufhebung des Lohnarbeitsverhältnisses und damit zugleich die Vergesellschaftung der Produktionsmittel.

An die Stelle des Werts als Zweck der Produktion, der sich von der Forschung und Entwicklung über die Produktion bis zur Distribution über die Konkurrenz als Sachzwang gegenüber den Gesellschaftsmitgliedern verselbständigt, tritt der Zweck der Bedürfnisbefriedigung in bewusster Abwägung mit der dafür notwendigen gesellschaftlichen Arbeit.

Andererseits ist die Durchsetzung der individuellen Arbeitszeit als Maß für den Anteil am gesellschaftlichen Arbeitsprodukt die Grundlage für die arbeitsteilige Selbstverwaltung der Gesellschaftsmitglieder.

Mit der Aufhebung der Gegensätze, die sich aus dem Eigentum an Produktionsmitteln und der Lohnarbeit ergeben, ist zugleich das Absterben der aus diesen Gegensätzen erwachsenen Staatsfunktionen verbunden.

Oder noch einmal in den Worten der GIK:

Die Aufhebung der Lohnarbeit und die kommunistische »Neuordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist eine Tat, es sind nur zwei Seiten einer und derselben Handlung[14]

Damit komme ich zum dritten und letzten Punkt:

Den verbreiteten Missverständnissen bzw. Einwänden gegen die Arbeitszeitrechnung.

Der erste verbreitete Einwand lautet, Arbeitsscheine seien gleichbedeutend mit Geld und somit würde der Kapitalismus durch die Arbeitszeitrechnung im Prinzip fortgeschrieben statt überwunden.

Diese oberflächliche Betrachtung – Geldscheine sind Scheine und Arbeitsscheine sind Scheine und beide vermitteln den Zugriff auf Produkte – übersieht, dass Geld und Arbeitsscheine ihrem Begriff nach keine Gegenstände sind, sondern Ausdruck unterschiedlicher Produktionsverhältnisse.

Im wechselseitigen Ausschlussverhältnis der Eigentümer können die Individuen ihr gesellschaftliches Verhältnis nur herstellen, indem sie die Produktivität ihrer individuellen Arbeit in Konkurrenz zueinander auf den Märkten vergleichen bzw. bewerten lassen.

Ihre individuelle Arbeit wird hier nur im Verhältnis zur gesellschaftlich notwendigen Arbeit gesellschaftlich anerkannt.

Mit der Durchsetzung der individuellen Arbeitszeit als Maß für den Anteil am gesellschaftlichen Arbeitsprodukt wird dagegen die in den Arbeitsprodukten enthaltene Arbeit nicht über den Umweg der Bewertung durch die Konkurrenz auf den Märkten oder durch staatliche Autoritäten beurteilt, sondern direkt und unmittelbar über die individuelle Arbeitszeit als gesellschaftliche anerkannt.

Mit anderen Worten:

Auf der Grundlage der isolierten Privatarbeit muss sich die individuelle Arbeit im Austausch als gesellschaftliche Arbeit bewähren.

Auf der Grundlage der Arbeitszeitrechnung wird die Arbeit als gesellschaftliche mit der Produktion gesetzt, d.h. der Austausch der Produkte ist hier gar nicht das Medium, durch das die Teilnahme des Individuums an der gesellschaftlichen Produktion vermittelt wird.

»Vermittlung muss natürlich stattfinden.

Im ersteren Fall, der von der selbständigen Produktion der einzelnen ausgeht …, findet die Vermittlung statt durch den Austausch der Waren, den Tauschwert, das Geld, die alle Ausdrücke eines und desselben Verhältnisses sind.

Im zweiten Fall ist die Voraussetzung selbst vermittelt; d.h., eine gemeinschaftliche Produktion, die Gemeinschaftlichkeit als Grundlage der Produktion, ist vorausgesetzt. Die Arbeit des einzelnen ist von vornherein als gesellschaftliche Arbeit gesetzt.

Welches daher auch immer die besondere materielle Gestalt des Produkts sei, das er schafft oder schaffen hilft, was er mit seiner Arbeit gekauft hat, ist nicht ein bestimmtes besonderes Produkt, sondern ein bestimmter Anteil an der gemeinschaftlichen Produktion. Er hat darum auch kein besonderes Produkt auszutauschen. Sein Produkt ist kein Tauschwert. Das Produkt hat nicht erst in eine besondere Form umgesetzt zu werden, um einen allgemeinen Charakter für den einzelnen zu erhalten. Statt einer Teilung der Arbeit, die in dem Austausch von Tauschwerten sich notwendig erzeugt, fände eine Organisation der Arbeit statt, die den Anteil des einzelnen an der gemeinschaftlichen Konsumtion zur Folge hat.

In dem ersten Fall wird der gesellschaftliche Charakter der Produktion erst durch die Erhebung der Produkte zu Tauschwerten und den Tausch dieser Tauschwerte im Nachhinein gesetzt.

Im zweiten Fall [der Arbeitszeitrechnung] ist der gesellschaftliche Charakter der Produktion vorausgesetzt, und die Teilnahme an der Produktenwelt, an der Konsumtion, ist nicht durch den Austausch voneinander unabhängiger Arbeiten oder Arbeitsprodukte vermittelt.

Er ist vermittelt durch die gesellschaftlichen Produktionsbedingungen, innerhalb deren das Individuum tätig ist.«[15]

Im Unterschied zur geldvermittelten Produktion und Verteilung wird mit der Durchsetzung der Arbeitszeitrechnung ein anderes Verhältnis zwischen den Produzenten und dem gesellschaftlichen Produkt hergestellt. Ein unmittelbar gesellschaftliches Verhältnis, in dem die Individuen durch ihre Arbeit zugleich ihr Verhältnis zum gesellschaftlichen Produkt bestimmen.

Von einer Gleichheit der Produktionsverhältnisse (Stichwort: Geld- und Arbeitsschein) kann also keine Rede sein.

Die intellektuell anspruchsvollere Variante dieser oberflächlichen Gleichsetzung ist die sogenannte Wertkritik.

Gilles Dauvè formuliert sie folgendermaßen:

»… der Haken an der Sache ist, dass ein rationales Buchhaltungssystem in Arbeitszeit der Wertregel ohne das Medium Geld entsprechen würde, da der Wert die gesellschaftliche Arbeitszeit ist, die zur Produktion einer Sache notwendig ist.«[16] »… Marx befand sich im Widerspruch zu sich selbst, als er die gesellschaftliche Arbeitszeit als etwas vom Wert Verschiedenes und Gegensätzliches darstellte ….«[17]

Ähnlich argumentiert Moishe Postone. Er abstrahiert von den Eigentumsverhältnissen, die das kapitalistische Produktionsverhältnis bestimmen, um dann die aufeinander bezogenen Marxschen Kategorien Ware, abstrakte Arbeit und Wert als Wesensmerkmale der verallgemeinerten Arbeitsteilung zu interpretieren.

Begriffe wie warenförmige Gesellschaft und verallgemeinerte Arbeitsteilung, Tausch und Transfer, Waren und Produkte werden in seiner 600 Seiten umfassenden Reformulierung der Marxschen Kategorien durchgehend synonym verwendet. Postone schreibt:

»Die Marxsche Theorie sollte auf einer logischen Ebene auch als Versuch gesehen werden, die Grundlagen einer Gesellschaft zu analysieren, die durch die universelle Austauschbarkeit der Produkte charakterisiert ist. … Eine neue Form von Interdependenz entsteht: Niemand konsumiert, was er produziert, und dennoch fungiert die Arbeit des Einen – oder deren Produkte – als das notwendige Mittel, um Produkte von Anderen zu erhalten. Damit besetzen die Arbeit und ihre Produkte im Resultat die Funktion der Vermittlung anstelle manifester gesellschaftlicher Verhältnisse. … Die Funktion der Arbeit als gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit bezeichnet [Marx] als ˋabstrakte´ Arbeit. … Abstrakte Arbeit aber ist spezifisch für den Kapitalismus …«[18]

Das ist, wie bereits gezeigt, falsch.

Der Wert, um den sich im Kapitalismus alles dreht, ist mit den Attributen abstrakt und gesellschaftlich notwendig nicht hinreichend bestimmt. Abstrakte Arbeit ist die Substanz und gesellschaftlich notwendig der Maßstab des Wertes. Beide zusammen begründen aber kein Wertverhältnis. Erst auf der Grundlage der Eigentumsverhältnisse muss das gesellschaftliche Verhältnis der Arbeitsteilung indirekt durch den Tausch einander ausschließender Eigentümer hergestellt werden, indem die individuelle Arbeit auf den Märkten nach der gesellschaftlich notwendigen (d.h. praktisch durchschnittlichen) Arbeitszeit bewertet wird.

Unter dieser Bedingung, und nur unter dieser Bedingung, wenn die Privatproduzenten in der Konkurrenz darauf verwiesen sind, ihre Arbeit gegen das einzutauschen, was sie wert ist, d.h., gegen ihr Äquivalent in Form gesellschaftlich notwendiger Arbeit, verwandelt sich die in den Produkten geronnene gesellschaftliche Arbeit in Wert, der als Grundlage für den Austausch der Waren durch die Privatproduzenten dient.

Abstrakte Arbeit wird also nur dann zur Substanz der ökonomischen Wertkategorie, wenn es sich um Produkte getrennter, unabhängig voneinander geleisteter Privatarbeit handelt.

Wie bereits im Zusammenhang mit der Darstellung der »Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung« ausgeführt wurde, muss die Kritik der Grundprinzipien des kapitalistischen Produktionsverhältnisses mit den aus dieser Kapitalismuskritik ableitbaren Grundprinzipien eines den Kapitalismus aufhebenden Produktionsverhältnisses zusammenpassen.

Es sind die zwei Seiten derselben Medaille.

Ein Blick auf die Vorstellungen seitens der Vertreter der sogenannten Wertkritik von einer »postkapitalistischen Gesellschaft« verdeutlicht dementsprechend den Antikommunismus ihrer Reformulierung der zentralen Kategorien der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie.

Moishe Postone kommt in den Schlussbetrachtungen seiner 600 Seiten umfassenden Marx-Kritik an zwei Stellen explizit auf den Sozialismus zu sprechen.

»Diese Studie versteht sich als Vorarbeit, als Beitrag zur theoretischen Klärung und Neuorientierung auf einer grundlegenden logischen Ebene.«[19]

»Diese Reformulierung der Bestimmungen, aufgrund der sich Kapitalismus und Sozialismus unterscheiden lassen, ist … relevant genug, um eine weitere, ernsthafte Entwicklung des von mir hier vorgelegten theoretischen Ansatzes zu rechtfertigen.«[20]

Ein Interesse, eine vollständige Theorie der möglichen Aufhebung der kapitalistischen Gesellschaft auszuarbeiten, hatte Postone dagegen die folgenden 25 Jahre bis zu seinem Tod nicht.

Auch die Krisis-Gruppe ist bis heute nicht über den phrasenhaften Idealismus von »neuen Formen der sozialen Organisation« hinausgekommen, für die noch »neue Formen der sozialen Vermittlung« entwickelt werden müssten.[21]

Demgegenüber hat Gilles Dauvè die aus der Neuformulierung der Wertkritik abgeleitete Kritik der abstrakten Arbeit konsequent zu Ende gedacht.

Den Hinweis von Marx, dass Arbeit kein Spiel ist, weist Dauvè zurück.

»Nur wenn wir die gesellschaftliche Arbeitsteilung und alle Arten von Trennung aufheben, wird das tägliche Leben einen Punkt der Universalität erreichen, der nicht durch Waren vermittelt ist.«[22] … Im Gegensatz zu Marx versuchen wir, über die Grenzen der produktiven Sphäre hinauszugehen. Für uns übersteigt die “Gesamtheit der Fähigkeiten” die Sphäre der Produktion und untergräbt das Konzept der Ökonomie selbst, indem wir die Zeitrechnung ablehnen und den Selbstgenuss direkt in das einbeziehen, was früher Produktion war. …

Warum sollte der Hunger nicht auch Genuss sein, wie das Begehren im Vorfeld des Liebesaktes, das aktiv an der Befriedigung der Bedürfnisse der Liebenden beteiligt ist? …

Für die Person, die keine Angst mehr vor dem Hunger hat, kann das Warten ein zusätzliches Vergnügen sein, so wie das Vorspiel ein angenehmer Teil des Liebesspiels ist.«[23]

Damit komme ich zum letzten Punkt, dem 2. verbreiteten Einwand. Er lautet: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.

Eine damals wie heute in linksradikalen Strömungen weit verbreitete Illusion ist die Vorstellung, man könne in der postkapitalistischen Gesellschaft die kapitalistische Geldrechnung durch eine Naturalwirtschaft ersetzen.

Eine Vorstellung, die der bürgerliche Ökonom Ludwig von Mises bereits 1922 in seiner Kritik der Gemeinwirtschaft ausführlich widerlegt hat.

Unter sehr einfachen Bedingungen ist es möglich, den gesamten Prozess vom Beginn der Produktion bis zu ihrem Abschluss zu betrachten und zu beurteilen, ob alternative Verfahren weniger Aufwand erfordern oder bei gegebenem Aufwand mehr Produkte liefern. Bei komplexeren arbeitsteiligen Prozessen ist dies nicht mehr möglich.

Will man sich z.B. bei der Energieerzeugung zwischen Solar- und Windenergie entscheiden, so sind die einzelnen Produktionsverfahren und möglichen Substitute so vielfältig, dass vage Schätzungen nicht mehr ausreichen, sondern genauere Berechnungen notwendig sind, um sich ein Urteil über die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens zu bilden.

Rechnen kann man aber nur mit Einheiten, die sich auf einen Maßstab beziehen. Schaltet man die Wirtschaftsrechnung aus, so hat man keine Möglichkeit mehr, eine rationale Wahl zwischen verschiedenen Alternativen im Hinblick auf das Verhältnis von Aufwand und Ertrag zu treffen.

Die Naturalwirtschaft ist daher die Aufhebung der Rationalität in der Wirtschaft.

Naturalwirtschaftliche Betrachtungen können zwar aufzeigen, wie aus technischer Sicht bestimmte Ziele durch den Einsatz verschiedener Mittel erreicht werden können. Sie geben aber keine Auskunft über das Verhältnis von Aufwand und Ertrag. Projekte und Entwürfe von Ingenieuren bleiben daher unvollständig, wenn Input und Output nicht auf einer gemeinsamen Basis verglichen werden können.

Bezogen auf die Produktion leuchtet es den meisten noch ein, dass die rationelle Planung und Organisation von Produktionsprozessen einen abstrakten Maßstab erfordert. Es ist aber ein Irrtum zu glauben, man könne Produktion und Konsumtion in dieser Hinsicht trennen. Produktion und Konsumtion hängen letztlich zusammen. Es wird produziert, um zu konsumieren und um konsumieren zu können, bedarf es der entsprechenden Produktion.

Wenn es für den Konsumwunsch unerheblich wäre, wie viel Arbeit dafür erforderlich ist, dann wäre es auch auf der Produktionsseite unerheblich, ob der eine Produktionsprozess arbeitsintensiver ist als der andere.

Es ist daher widersprüchlich zu meinen, man könne beim Konsum den Zusammenhang mit der dafür notwendigen Arbeit ignorieren. Die hohle Phrase, die Bedürfnisse sollten Maßstab der Produktion sein, bedarf daher auch der ökonomischen Konkretisierung.

Bedürfnisse sind nicht Maßstab ihrer selbst.

Erst wenn zur Befriedigung der Bedürfnisse keine Arbeit mehr nötig ist, wird das Bedürfnis zum Maß seiner selbst. Wie im berühmten Schlaraffenland.

Solange zur Bedürfnisbefriedigung Arbeit notwendig ist, stehen die Bedürfnisse immer im Verhältnis zur gesellschaftlichen Arbeit, die zu ihrer Befriedigung notwendig ist.

Im Sinne der Rationalität ihrer arbeitsteiligen Wirtschaft müssen die Menschen daher abwägen können, ob ihnen ihr Bedürfnis den Aufwand wert ist.

Sie brauchen also auch in Bezug auf ihre Konsumwünsche einen Maßstab, um Aufwand und Ertrag abwägen zu können.

Sie benötigen neben ihrem subjektiven Bedürfnis nach diesem oder jenem einen objektiven Maßstab, der das intuitive Bedürfnis mit der dafür erforderlichen Arbeit in Beziehung setzt.

Wird der ökonomische Bezug zum Arbeitsaufwand ausgeblendet, sind irrationale Konsumentscheidungen (Verschwendung) und Versorgungsmängel vorprogrammiert.

Konsumieren ohne ökonomisches Maß bedeutet dann nicht »Nehmen nach Bedarf«, sondern Zuteilung durch eine übergeordnete Instanz.

Hier hilft auch das Ideal der Rätedemokratie nicht weiter, da den Gesellschaftsmitgliedern ohne die Arbeitszeitrechnung, die für eine rationale Entscheidung notwendigen Informationen fehlen.

Zur Ehrenrettung von Karl Marx sei an dieser Stelle abschließend hinzugefügt, dass er drei Bedingungen für die sogenannte höhere Phase der kommunistischen Gesellschaft genannt hat:

Die entscheidende ökonomische Bedingung lässt sich folgendermaßen ausdrücken:

Wenn die Produktivität tatsächlich einmal so groß ist, dass die Grenzkosten der Produktion gegen Null tendieren – »erst dann kann die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!«[24]

www.redblackbooks.de


[1] Rosa Luxemburg, Zur russischen Revolution, in: R. Luxemburg und die Freiheit des Andersdenkenden, Dietz Verlag 1990, S. 158

[2] Die russische Arbeiteropposition, Rowohlt 1972, S. 150f

[3] Rudolf Rocker, Der Bankrott des russischen Staatssozialismus, UNDERGROUND Press; Berlin 1968, S. 103

[4] Leo Trotzki, Verratene Revolution, Schriften 1.2, Rasch und Röhring Verlag 1988, S. 789

[5] Rätekommunismus. Zeitschrift für selbständige Klassenbewegung, Red & Black Books 2022, S. 94

[6] Henk Canne Meijers, Die Arbeiterrätebewegung in Deutschland, Edition soziale revolution 1985, S. 22

[7] GIK, Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen, Red & Black Books 2021, S. 28

[8] Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, S. 20

[9] GIK, Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung, Red & Black Books 2020, S. 24ff

[10] GIK, Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung, Red & Black Books 2020, S. 28

[11] Ebenda S. 52

[12] Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1, MEW 23, S. 231

[13] Anton Pannekoek, Workers’ Councils, AK Press 2003, S.23ff.

[14] GIK, Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen, Red & Black Books 2021, S. 28

[15] Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW 42, S. 104

[16] Gilles Dauvè, Eclipse and re-emergence of the Communist Movement, S. 95

[17] Ebenda S. 119

[18] Moishe Postone, Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Arbeit, ça ira-Verlag 2003, S. 229/ 232/ 233

[19] Ebenda S. 592

[20] Ebenda S. 598

[21] Norbert Trenkle, Die Arbeit in Zeiten des fiktiven Kapitals

[22] Bruno Astarian and Gilles Dauvè, Everything must go! The abolition of Value, S. 140

[23] Ebenda S. 121/124/173

[24] Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, S. 21

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